Ikebana

 

 

Ikebana - was ist das? Die Frage stellte ich mir auch, nachdem ich ein Buch mit diesem Titel in der Hand hielt. Alles, was mich daran gereizt hatte, war die Abbildung eines wunderbar klaren Blumengestecks auf dem Einband. Dieses Einbandfoto schien all das auszustrahlen, wonach ich mich sehne, was ich erreichen will: Ruhe, Kraft, Abstand, aber vor allem Klarheit, Einfachheit und die Beschränkung auf das Wesentliche.

Ich nahm das Buch in die Hand und blätterte ein wenig darin. Zunächst war ich etwas enttäuscht - ich erfuhr wenig, das meinen Intellekt befriedigt hätte. Da stand nichts von philosophischen Hintergründen, Zen und Meditation. Vielmehr bestand das Buch aus einer knappen Aufzählung der klassischen Formen und einigen kurzen Anleitungen zu jeder vorgestellten Form. Außerdem gab es zu jeder Form ein Bild von einem wunderschönen Gesteck. Nachdem ich das Buch durchgeblättert und alle Gestecke betrachtet hatte, stellte ich es wieder zurück ins Regal. Ich war der Meinung, jetzt genug über Ikebana zu wissen und die Gestecke hatte ich ja auch angeschaut.

Der Gedanke an das Buch ging mir jedoch nicht mehr aus dem Sinn. Immer wieder schlichen sich einige Worte aus der Einleitung in mein Gedächtnis: "Ikebana muß man tun." Ich hatte das Gefühl, diese Sache ausprobieren zu müssen und kaufte das Buch schließlich zwei Tage später doch. Nun dachte ich, könne es gleich losgehen, denn die benötigten Werkzeuge werden sich ja in jedem Baumarkt auftreiben lassen. Weit gefehlt. Ich verbrachte einige Tage damit, nach einem Kenzan zu fahnden. In den großen Märkten und auch in Blumengeschäften erhielt ich immer wieder nur die Auskunft "Tut uns leid, aber mit einem Kenzan arbeiten wir schon lange nicht mehr. Das wurde früher so gemacht, aber heute..." Schließlich fand ich eine kleine Blumenhandlung, wo sich eine freundliche Verkäuferin bereit erklärte, mir ein Kenzan zu besorgen. Einige Zeit später hatte ich dann auch eine Schere erstanden und es konnte losgehen. Ich war inzwischen sehr gespannt und wollte wissen, ob es mir ebenfalls gelang, so viel Ruhe, Kraft und einfache Eleganz in ein Gesteck zu legen, wie ich es auf den Bildern im Buch gesehen hatte.

Nach der Arbeit ging ich dann los und besorgte mir einige Zweige mit Blattgrün und kleinen weißen Blüten. Dazu den Blütenstand einer Kastanie. Ich konnte es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen und mein erstes Gesteck zu beginnen. Zunächst bestimmte ich die Elemente für Soe, Shin und Hikae, dann schnitt ich sie zurecht und steckte sie auf den Kenzan. Nach einigen Versuchen war ich zufrieden mit den Hauptelementen und füllte die verbliebenen Lücken mit ein paar kleineren Zweigen und Blüten.

Das Resultat war verblüffed. Ich stellte die Schale auf einen kleinen Tisch, wo sie gut zur Geltung kam. Und obwohl dies mein erster Versuch war und ich nur einige Materialien aus der Natur verwendet hatte, strahlte das Ergebnis Ruhe, Kraft und Klarheit aus. Hatte mir das Sammeln, Auswählen und Zuschneiden der "Zutaten" schon viel Vergnügen bereitet, so empfand ich jetzt beim Anblick meines ersten Ikebana-Gestecks eine Leichtigkeit und Freude, die ich so noch nie beim Anblick eines Blumenstraußes empfunden hatte. Der zarte Schwung der Zweige, das schlichte Grün und Weiß der Blätter und Blüten und vor allem die Anordnung, die jedem Element genug Raum bot, sich zu entfalten und zur Wirkung zu gelangen, lösten eine große Freude beim Betrachten aus.

Mich hat an der ganzen Sache vor allem tief bewegt, daß es mit ein paar einfachen Mitteln möglich ist, so viel Ruhe, Kraft und Harmonie auszudrücken und eine so große Freude zu erzeugen.

 

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